Nina May, Das gibt’s doch gar nicht! Die Walachei ist nicht im Nirgendwo, sondern mitten unter uns

Nina May, Das gibt’s doch gar nicht! Die Walachei ist nicht im Nirgendwo, sondern mitten unter uns. Glossen, erste Staffel. Reihe Fragmentarium, Bd. 30 · ISBN 978-3-86356-405-6, 372 Seiten, €[D]24,90

„Wo bleiben deine Glossen?“, lautete der Begrüßungssatz meiner Mutter. „Hast lange nichts geschrieben!“ Kein „Gut schaust aus!“, kein „Wie läuft’s mit dem Hausbau?“ oder „Esst ihr auch Vitamine?“. Statt-
dessen will auch sie jede Woche lesen, wie man in welchem Kulturkreis Bananen schält oder was mein Ameisenhaufen in der Küche so treibt. Die wirklich wichtigen Dinge eben. Die, die man Verwandten und Freunden weitermailt und an die sich, zugegeben, auch die Leser stets erinnern, denen man auf Sachsentreffen und Überlandreisen begegnet: „Ach, Sie sind Nina May? Die Story mit dem erwürgten Zeh in der Damenstrumpfhose – wir haben uns totgelacht!“ Distanz.
Nina May

Glossen aus dem „Land der Geschichten“ – Debüt-Ritterschlag für Nina May

Im Pop Verlag, Ludwigsburg, erscheint in diesen Tagen eine Sammlung mit Glossen von Nina May unter dem Titel „Das gibt’s doch gar nicht! Die Walachei ist nicht im Nirgendwo, sondern mitten unter uns“. Der Verlag hat das überzeugende Buch mit seinem Debütpreis gewürdigt. Die Preisverleihung wird voraussichtlich während der Buchpräsentation, der „lansare“, Mitte September in Hermannstadt /Rumänien stattfinden. Wir werden Sie informieren.

Wussten Sie schon, dass Sie mit „Țăraning “ kräftig, gesund und beweglich bleiben, ohne jemals ein Fitnessstudio zu betreten (Auf ins Sportstudio!)? Dass es fast einem Schicksalsschlag gleichkommt, wenn der Mechaniker mitten im siebenbürgischen Outback nachdenklich „etwas Großes“ am kaputten Auto diagnostiziert und sich auf das Eigentliche nicht näher festlegen will (Glück und Pech)? Dass ihnen gelegentlich der „Wohnwagen“ aus der Hosentasche fallen kann, wenn Sie die Sünde eines Vokalverdrehers begehen? Rulotă versus ruletă in Der Wohnwagen aus der Hose. Wussten sie, wie eine Reparatur trotz allem gelingt, wenn drei Handwerker ohne Werkzeug und Leiter, aber fest in den Hosentaschen versenkten Händen anrücken, um nach längerem Diasgnosepalaver einen größeren Schaden zu beheben (Mangelgesellschaft)? Und welche uralten Sammler- und Jägerinstinkte man auspacken muss, um am übervollen Büffet nicht zu verhungern (Milieustudien am Büffet)?

Das alles und sehr, sehr viel mehr ist in Nina Mays Glossensammlung aus dem Pop Verlag nachzulesen. Von der humorvoll-ironischen Erzählhaltung her ist es – entfernt – eine Art Gregor von Rezzori’sches „Maghrebinien“, aber weder Land noch Leute entspringen der überbordenden Phantasie, sondern die „Wallachei“ Nina Mays ist Realität, die jeglichem Faktencheck standhält: Sie ist geographische Wirklichkeit und mental-kulturell bedingte  Verhaltensrealität in einem — angesiedelt im Zentrum des heutigen neuen Europa an seiner aufstrebenden Peripherie Rumänien.

Glossen sind eine journalistische Disziplin der Meinungsäußerung. Nina May äußert ihre Meinung zu den vielfältigsten Alltagsthemen. Sie kommentiert die Tücken der vermeintlich stabilen Normalität, die aber einer näheren Prüfung nicht standhalten kann.  Sie entdeckt Neues, wo alt Eingefahrenes scheinbar unverrückbar ist. Sie öffnet den Blick für manch Eigenartiges (Stempelsucht, Klopapier …) , aber auch für die unscheinbaren Details des Lebens, die indessen bei näherer Betrachtung zu einem essenziellen Lebensinhalt mutieren können: beispielsweise die aktiv unterstützte Geburt einer fingerkuppengroßen Wasserschildkröte.

In neun Kapiteln sieht man durch Nina Mays Kommentar-Brennglas Fazetten der Wirklichkeit, die man bisher entweder nicht kannte oder die man übersehen oder gar falsch verstanden hat:  Hurra – in Rumänien!, Kulturelle Kollisionen, Trautes Heim, Kuriose Arbeitswelt, Alltagswahnsinn, Alles, was recht ist, Sprachverwirrnisse, Über Stock und Stein, Geliebte Technik

Die Beschreibungsakuratesse einer wissenschaftlich geformten Physikerin und die Parlandoakkrobatik einer im besten Sinne erfrischend nicht-rumäniendeutschen Autorin, die in Rumänien lebt und die dortigen Realitäten in deutscher Sprache beschreibt; ferner: die unverformte Neugier eines geistig jung gebliebenen Menschen und die Wohlgesonnenheit einer durch und durch positiv eingestellten Autorin – sie bestechen in diesen griesgrämigen Zeiten jeden Leser. Nina May bekennt sich dazu: „Wer schreibt über solche Dinge? Das ist meine Nische! Die schillernde Buntheit des Lebens in Rumänien schildern, so, wie ich sie erlebe. Mal bewundernd, mal kritisierend, mal staunend, mal verblüfft. Aber immer zutiefst ehrlich – und mit einem liebevollen Augenzwinkern im Hintergrund.“

Für die deutschsprachige Literatur der Gegenwart in, aus und über Rumänien ist sie sehr wohl eine Bereicherung. Erstens: Durch den unverstellten Blick auf sattsam bekannte Realitäten an einer mitteleuropäischen Schnittstelle zum Balkan, die von den deutschen Natives des Landes noch nie so burlesk-pikaresk, kumorvoll-ironisch  wahrgenommen worden ist. Zweitens: Durch das erfrischend-sprühende Parlando eines deutschen Binnensprachlers, der sich innovativ und bemerkenswert vom zwar überaus korrekten, aber oftmals gestanzten und inselreduzierten Deutsch des deutschsprachigen Literaturkanons Rumäniens abhebt. Insofern ist auch die Frage beantwortet, ob Nina May zur deutschen Literatur dieses Landes zu zählen ist: Ja, sie ist es zweifellos, denn ihre Glossen transzendieren die rein journalistischen Schranken und ragen deutlich in die Ebene der literarischen Wirklichkeitsbewältigung hinein.

Warum Lebenshilfeseminare aufsuchen, Persönlichkeitscoaching frequntieren oder seichte Texte zur seelischen Betreuung lesen ? In Nina Mays Glossen finden Sie alles: Zuspruch, Orientierung, Bestätigung, Witz, Relativierung  und Verstand. Das Buch liest sich wie ein Instrumentenkasten dessen, wie im Leben Wichtiges von Unwichtigem zu trennen ist, wie tiefe Menschlichkeit auf- und Egomanie und Fremdheit abgebaut werden können, wie das Eigentliche vom Uneigentlichen zu scheiden ist.

Wer ohnehin Spaß am Lesen hat, aber auch derjenige, der die kultivierte Lebensfreude des Lesens (neu) entdecken will, kommt mit diesem Buch voll auf seine Kosten.

 Götz von Berg
Im Juli 2024

Lieferbare Titel von Nina May:

Steliana Huhulescu: “Flucht aus der Hölle”

stelianehuhulescu_fluchtSteliana Huhulescu: “Flucht aus der Hölle
Roman

Prima Verba Epik
Ausgezeichnet mit dem Epik Debütpreis 2014

573 Seiten, 21,99 €
ISBN 978-3-86356-085-0

Das Jahr 1989 erinnert mich nicht nur an Rumänien, sondern auch an Flüchtlinge aus der damaligen DDR und anderen Ländern, deren Fluchten das Ende nicht nur der wahnhaften Ceauᶊescu-Diktatur einläuteten. Auch der satte Bundesbürger ist und war nie wirklich sicher, eine vergessene Herdplatte und ein defekter Feuermelder, oder ein Bagger findet einen Blindgänger aus dem letzten Weltkrieg und schon wird auch er zu einem Menschen, der ein anderes Dach über dem Kopf braucht. Da der Mensch in der Regel weder Wurzeln noch Flügel hat, kann er also ebenfalls zum Wanderer werden. Flüchtlinge gibt es heute wieder sehr viele, denken wir nur an Syrien. Umso wichtiger ist der Versuch, Erlebnisse wie diese festzuhalten und nachwachsenden Generationen mitzuteilen, wie es damals war. Das hat Steliana Huhulescu mit ihrem über 500 Seiten starken Roman exemplarisch vorgeführt, der uns darüber hinaus daran erinnern kann, dass wir alle Wanderer sind, und dafür bekam sie zu Recht den Debütpreis des Jahres 2014.
Mark Behrens, Laudatio zu Steliana Huhulescus Roman “Flucht aus der Hölle”

Lieferbare Titel von Steliana Huhulescu:

Flucht aus der Hölle. Roman. Prima Verba Epik.
Ausgezeichnet mit dem Epik Debütpreis 2014. 573 Seiten, ISBN 978-3-86356-085-0, 21,99 €

“Parallelwelten. Opfer der Freiheit” 500 Seiten, ISBN 978-3-86356-158-1, 23,00 €

Ondine Dietz: „Meister Knastfelds Hybris“

 Ondine Dietz: „Meister Knastfelds Hybris“
Liebeserklärung an das alte und junge Temeswar
Kartoniert, mit Schutzumschlag (bedruckt). 2. Auflage 2022
198 Seiten, Reihe Epik . Bd. 21 ISBN 978-3-937139-94-4, €[D]18,50

Ausgezeichnet mit dem Epik Debütpreis 2010

 

[…] Wir alle hatten ein fast erotisches Verhältnis zur „Venezianisierung“ unserer Stadt, so nannten wir dieses Phänomen. Ein Venedig war die Stadt unter den Kommunisten geworden, so wie sie ein Florenz war im „Empire“ des Königlichen und Kaiserlichen; ein südöstliches Sankt Petersburg, ohne die glaziale Würde eines frostigen Selbstbewusstseins, in Ohnmacht gefallen, zu einer Lagunenstadt geworden, unter Gewässern aus der Tinte so vieler Abschiedsbriefe. […]

Lieferbare Titel von Ondine Dietz:

  • „Meister Knastfelds Hybris“
    Liebeserklärung an das alte und junge Temeswar
    Kartoniert, mit Schutzumschlag (bedruckt). 2. Auflage 2022
    198 Seiten, Reihe Epik . Bd. 21 ISBN 978-3-937139-94-4, €[D]18,50

 

Mark Behrens: „Zwei Seiten“

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Mark Behrens: „Zwei Seiten“
Roman

Prima Verba Epik
Ausgezeichnet mit dem Epik Debütpreis 2013

239 Seiten, 15,99 Euro
ISBN 978-3-86356-071-3

Lieferbare Titel von Mark Behrens:

Zwei Seiten. Roman. Prima Verba Epik
Ausgezeichnet mit dem Epik Debütpreis 2013; ISBN 978-3-86356-071-3; 239 Seiten, € [D]15,99

Charles Baudelaire bei Max und Margarete Bruns. Pop Universitas. 262 Seiten, ISBN 978-3-86356-084-3;  € [D]18,20

Chimären und andere Seltsamkeiten. Gedichte und Geschichten. Pop Lyrik. ISBN: 978-3-86356-243-4, 102 Seiten, € [D]14,50

Eric Giebel: „Quecksilber in Manteltaschen“

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Eric Giebel: „Quecksilber in Manteltaschen“
Gedichte

Prima Verba Lyrik
Ausgezeichnet mit dem Lyrik Debütpreis 2015

106 Seiten, €[D]14,50
ISBN 978-3-86356-098-0

 

 

 

Stimmen:

Die Gedichte könnte man als Raumerkundungen bezeichnen, die in einer archäologischen Bewegung die verborgenen, historischen Schichten freilegen. Das Täuschende und Verbergende wird mit der Sprache entlarvt.
Dr. Petra Gropp

Die Gedichte beschreiben Menschen, die in Handeln und Denken in ihr gesellschaftliches Umfeld eingebettet sind. In präziser und gleichsam poetischer Sprache gräbt der Autor tief in der Geschichte, um verschüttete Stellen freizulegen und dem Kern der Wahrheit näherzukommen.
Barbara Zeizinger

Rezension

 

Lieferbare Titel von Eric Giebel:

  • Quecksilber in Manteltaschen, Lyrik, Ludwigsburg 2015, Prima Verba Lyrik Debütpreis 2015. 106 Seiten, ISBN 978-3-86356-098-0. €[D]14,50
  • Im roten Sand.“  Erzählung.Pop Epik, 96 Seiten, €[D]13,45
    ISBN 978-3-86356-127-7
  • „Hototogisu. Prosaminiaturen“, Pop Epik. ISBN: 978-3-86356-180-2, 120 Seiten, €[D]14,50